Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz
Der Einsatz von KI und Bots führt nicht automatisch zu besserer Customer Experience, wenn schon grundsätzliche Prozesse nicht funktionieren, sagt VIER CEO Rainer Holler. SQUT hat ihn nach der richtigen Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz gefragt und erfahren, dass Lösungen wie Emotion Analytics alles andere als unheimlich sind, sondern Kommunikation in den meisten Fällen erfolgreicher machen.
SQUT: Wer aktuell Kontakt mit Unternehmen aufnehmen will, wird überall mit Bots konfrontiert. Muss KI einspringen, weil der Mensch von den selbstgeschaffenen Prozessen überfordert ist? Holler: Der Eindruck ist so nicht richtig. Beim Einsatz von KI geht es um Automatisierung und um die Möglichkeit, Prozesse und Bearbeitungsabläufe zu beschleunigen. Es geht darum, Mitarbeiter:innen von Aufgaben zu entlasten, die auch KI erledigen kann. Es geht nicht um einen Leistungsvergleich oder gar den Ersatz des einen durch das andere. Die Kunst liegt darin, die Übergabe von Mensch und Maschine zu optimieren und die Stärken beider Welten miteinander zu verbinden – und zwar nahtlos über alle Kanäle hinweg.
SQUT: Können Sie uns ein konkretes Beispiel dieser Stärken und Schwächen geben? Holler: Ein Mensch, der endlos Zählerstände abtippen muss, langweilt sich, ist frustriert. Ein Bot dagegen ist genau dafür gemacht: einfache, repetitive Aufgaben stunden-, tage- und wochenlang immer wieder unermüdlich erledigen. Aber: Einem Bot ist es völlig egal, ob Kunden unzufrieden sind. Fehler tun ihm nicht leid, selbst wenn er sich entschuldigt. Weder hinterfragt er Entscheidungen, noch korrigiert er sie, sollten sie falsch gewesen sein. Das kann er gar nicht. Das kann nur der Mensch. Künstliche und menschliche Intelligenz ergänzen sich also. Ein Bot kann nicht, was ein Mensch kann. Und ein Mensch sollte nicht arbeiten wie ein Bot. Dafür ist er viel zu wertvoll.
SQUT: Das heißt aber, dass Unternehmen nicht mal eben KI einsetzen können, sondern genau überlegen müssen, was wirklich sinnvoll ist? Holler: Das ist richtig. Automatisierung kann nichts ausrichten, wenn schon grundsätzliche Prozesse nicht organisiert sind. Nicht selten hakt es schon beim Omnichannel-Management und beim intelligenten Routing, das ist nämlich oft alles andere als intelligent. Einen Anrufer anhand einiger Stichworte über die IVR zur Abteilung X zu lenken, heißt doch nicht, dass wirklich verstanden wurde, worum es dem Anrufer geht und wie genervt er vielleicht schon ist. Und der Einsatz eines Bots anstelle der händischen Bearbeitung ist nicht grundsätzlich die beste Idee. Wer möchte denn mit einem Bot sprechen oder schreiben, der am Ende des Tages nicht helfen kann? Niemand, denn das ist verschwendete Zeit!
SQUT: Wie sieht Ihr Lösungsansatz aus? Holler: Bei VIER sehen wir den größten Hebel darin, Assistenzlösungen einzusetzen, die die Bearbeitung durch eine:n Mitarbeiter:in unterstützen. Ein Bot kann also im Hintergrund aktiv sein und eine Assistenzfunktion erfüllen. Das macht vieles einfacher und vor allem effizienter – zum Wohle der Kund:innen. Derart unterstützte Abläufe bringen nachweislich mehr für die Customer Experience als ein Bot, der zwar das Wort, nicht aber den Kunden versteht. Erfolgreich ist KI dann, wenn es gelingt, beide Welten zu kombinieren und die Vorteile der Symbiose von Mensch und Maschine zu nutzen.
SQUT: Trotzdem ist das Thema KI stark mit Ängsten besetzt … Holler: Nein, nach unserer Erfahrung setzt da ein Wandel ein. Die Möglichkeiten und die Vorteile, die der Einsatz von KI bietet, werden zunehmend bewusster wahrgenommen, Vorbehalte wandeln sich in Neugierde und Interesse. Dazu gehört natürlich, dass Anbieter, zu denen auch wir gehören, mit Offenheit agieren und die Unternehmen mit den Technologien vertraut machen. Ein Bot soll unterstützen, entlasten und – etwa durch Assistenzlösungen – die Kompetenz von Mitarbeiter:innen auf das nächste Level heben. Das zahlt auf die User Experience ein. Und die wiederum wirkt direkt auf die Customer Experience.
Bei VIER geht es aber auch um das Thema Analyse der Kundenbedürfnisse! Holler: Ja, denn unser wichtigstes Ziel ist es, wirklich zu verstehen, was Kund:innen wünschen, wenn sie sich bei einem Unternehmen melden. Anrufer:innen anhand einiger Stichworte über die IVR zur Abteilung X zu lenken, heißt doch nicht, dass wirklich verstanden wurde, worum es geht und wie genervt Kund:innen vielleicht schon sind. Ich muss verstehen, was gesagt wurde und wie es gesagt wurde, um das Kundenbedürfnis befriedigen zu können. Nur so kann ich Sachbearbeiter:innen und damit auch den Kund:innen die richtigen Informationen zur Verfügung stellen und auch die richtigen Schritte einleiten. Dazu führen wir Daten zusammen und analysieren diese schon vor dem Kontakt, während der Interaktion und auch danach. Das liefert interessante Einsichten und deckt neue Zusammenhänge auf, und zwar an jeder Stelle der Customer Journey. So verstehen unsere Unternehmenskunden die Interaktionen mit ihren Kund:innen besser und das ermöglicht eine kundenfreundliche Assistenz und Automatisierung!
SQUT: VIER setzt auf die Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Aber es geht noch weiter: Sie kombinieren KI sogar mit Psychologie, Stichwort Emotion Analytics. Das lässt uns unweigerlich an gläserne Menschen denken, an unheimliche Einblicke in die Gefühlswelt … Holler: Das Wort Emotion stammt von dem lateinischen Wort emovere und bedeutet „heraus bewegen, in Bewegung setzen, in einen erregten Zustand versetzen“. Diese Begriffsumschreibung gibt die zentrale Eigenschaft von Emotionen wieder: Emotionen berühren uns und sie bewegen uns in eine bestimmte Richtung. Für uns bedeutet das: Wir wollen messbar und bewusst machen, was Menschen bewegt und was sie durch Sprache transportieren. Wir machen mit VIER Emotion Analytics die Psychologie von Kommunikation sichtbar und verständlich. Es geht um erfolgreiche Kommunikation durch die richtige Wirkung von Sprache!
SQUT: Wie läuft eine solche Analyse mit Emotion Analytics ab? Holler: Es braucht nur eine einfache Sprechprobe! Die KI-basierte Software erstellt ein sogenanntes Kommunikations-Wirkungsprofil. Die Analyse erfolgt anhand formaler, struktureller und damit deskriptiver Eigenarten. Daraus werden bis zu 29 kommunikative Wirkungsweisen – z. B. gelassen, motivierend, optimistisch etc. – in ihrer Ausprägung ermittelt. Um Stimme und Betonungen geht es z. B. überhaupt nicht. Das Ergebnis ist wertfrei, denn welche Ausprägung angemessen ist, hängt von den Tätigkeiten ab, in deren Rahmen die Teilnehmer:innen kommunizieren. Ein hohes Maß an Empathie kann in der Kundenberatung von Vorteil sein, im Controlling vielleicht nicht. Die Analyse gibt Führungskräften, Mitarbeiter:innen und sogar ganzen Abteilungen die Möglichkeit, die eigene Sprachwirkung objektiv messbar zu machen, sie besser zu verstehen und zu verändern. So können wir gezielter kommunizieren, Missverständnissen vorbeugen und genau das vermitteln, was wir rüberbringen wollen.
SQUT: Gibt es eine wissenschaftliche Datenbasis für diese Analyse? Holler: Ja, unsere Lösung basiert auf einer in Europa und den USA patentierten Sprachanalyse und der weltweit größten Studie, die KI, Sprache und Psychologie verknüpft: Sie umfasst mehr als 39 Millionen Ratings, über 26.000 Personen, ein KI-Modell mit mehr als 110 Millionen Parametern und die Analyse von über vier Milliarden Wörtern. Das ist eine beeindruckende Basis
SQUT: Wo sehen Sie Einsatzmöglichkeiten für eine solche Software? Holler: Die sind vielfältig, denn das Verständnis für die Wirkung von Kommunikation liefert wichtige Hinweise auf Verbesserungspotenzial – sei es im Kundenservice, im Vertrieb, im Marketing, in der Personalentwicklung, im Recruiting oder im Management. Bewusstes Kommunizieren ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für jegliche Aktivität in Unternehmen. Beispielsweise lässt sich die Vertriebskommunikation durch die Kombination von nützlichen Formulierungen unterstützen und optimieren. Das gilt für die Kundenansprache am Telefon ebenso wie für Serienmails, Anschreiben, Social-Media-Posts etc. Sie können so formuliert werden, dass sich die Aussicht auf vertrieblichen Erfolg erhöht. Die Software kann bereits beim Schreiben des Textes Hinweise auf die Wirkung geben.
SQUT: Der Verfasser hat also die Chance, Wörter und Formulierungen vor dem Versand zu bearbeiten, um E-Mails verständlicher, positiver und freundlicher zu gestalten? Holler: Genau! Dasselbe gilt für übrige Formen der Außendarstellung eines Unternehmens. Im Bereich Recruiting unterstützt und ergänzt eine neutrale, KI-basierte Betrachtung die subjektiven Eindrücke. Das macht es einfacher, Mitarbeiter zu finden, die besonders gut ins Team passen. Aber auch Führungskräfte können die Wirkung ihrer Sprache überprüfen und ggf. verändern, um Mitarbeiter:innen stärker zu motivieren. Wir können überall dort, wo gesprochen und/oder geschrieben wird, Erkenntnisse und Mehrwerte schaffen sowie Potenziale heben.
SQUT: Fakt ist dennoch, dass viele Contact-Center, aber auch Unternehmen aus dem Mittelstand in Bezug auf KI-Lösungen zögerlich sind. Was raten sie denen? Holler: Mein Rat lautet, dass sie auf die Möglichkeiten, die KI bietet, nicht verzichten sollten und dürfen. Durch den Einsatz von KI lassen sich repetitive Aufgaben schnell und fehlerfrei erledigen, während Mitarbeiter:innen mehr Zeit für schwierige, verantwortungsvolle und werthaltige Aufgaben haben. Allerdings sehen gerade Mittelständler KI als zu teuer und komplex an. Das stimmt aber gar nicht. Gerade die kleinen Schritte, die wir empfehlen, sind völlig ohne finanzielles Risiko. Die Unternehmen können erste Erfahrungen sammeln und dann größere Schritte wagen. So wächst man schnell in das Thema hinein und erreicht problemlos das Tempo, das Unternehmen heute brauchen, um im Wettbewerb zu bestehen.
Rainer Holler, Jahrgang 1975, ist CEO der VIER GmbH. Der Diplom-Kaufmann und EMBA Holler hatte zuvor im Dezember 2018 die Geschäftsführung von 4Com übernommen. Dort stellte er das Unternehmen auf die Prinzipien der agilen Software-Entwicklung um und führte eigenverantwortliche Teams ein. Seit 2020 vereinigte er sukzessive die Unternehmen 4Com, Lindenbaum, Parlamind, Voixen und Precire als Partner zur 4TechnologyGroup. Anschließend verantwortete er die Fusion der Partnerunternehmen zur neuen VIER GmbH. Mit VIER will Rainer Holler den neuen europäischen Standard für Kundeninteraktion setzen.