„Künstliche Intelligenz ist längst so zugänglich wie ein Stromanschluss“, sagt VIER CEO Rainer Holler im Interview. Er erklärt, wie Low Hanging Fruits auch KMU beim KI-Einstieg helfen und warum es schon bald den CAIO geben wird – den Chief AI Officer.
SQUT: Rainer Holler, der Einsatz von KI scheint bei großen Unternehmen und Konzernen inzwischen zur festen Größe zu werden. Aber was ist mit kleinen Unternehmen? Können die bei KI mitspielen?
Rainer Holler: „Die Antwort ist ein klares Ja! Denn der Hebel von KI liegt in der Skalierung. Egal, wie groß oder klein ein Unternehmen ist, alles kann viel effizienter werden. KI kann im Handumdrehen 30 Prozent der Routineaufgaben übernehmen.“
SQUT: Wie geht das?
Rainer Holler: Der Einsatz von KI funktioniert am besten nach der ‚Low Hanging Fruits-Strategie‘. Das bedeutet: Ich delegiere die drei Dinge, die mich tagtäglich am meisten beschäftigen, an eine KI-Lösung. Das lohnt sich für die Fahrschul-Lehrerin, die ihre Terminvereinbarung mit KI automatisiert. Und auch für einen Dax-Konzern mit 20.000 Mitarbeiter:innen, der einen Bot betreibt, um sämtliche Standard-Anfragen an die Personalabteilung zu beantworten und auf Wunsch auch passende Weiterbildungsangebote für eine:n Mitarbeiter:in zusammenstellt.“
SQUT: Das heißt, KI bringt Unternehmen jeder Größe erhebliche Entlastungen?
Rainer Holler: „Mehr als das. Der Nutzen ist insgesamt enorm: Es geht um Effizienzsteigerung durch Automatisierung, um Personalisierung und sogar um bessere Kundenerlebnisse. Ein Beispiel: Ein Kunde ruft wegen eines verloren gegangenen Pakets mit einer Jeans für 35 Euro an. Noch während des Telefonats sammelt die KI alle relevanten Informationen aus verschiedenen Systemen und zeigt sie dem Servicemitarbeitenden in Echtzeit an. Die Bestell- und Bezahlhistorie zeigt, dass der Kunde bereits 1.700 Euro für Produkte des Unternehmens ausgegeben hat. Daher kann der Mitarbeitende sofort entscheiden, dass die nicht gelieferte Jeans für 35 Euro einfach erneut zugeschickt wird. Ergebnis: Der Kunde ist glücklich, fühlt die Wertschätzung und hat ein tolles Service-Erlebnis, obwohl er zunächst eine Beschwerde hatte.“
SQUT: Können es sich Unternehmen überhaupt leisten, auf solche Ergebnisse zu verzichten?
Rainer Holler: „Nein, ganz sicher nicht Und es schadet nicht nur den Unternehmen selbst, sondern auch der Gesamtwirtschaft. Bekanntlich befindet sich Deutschland in einer Wirtschaftskrise. Und wer die nicht nur überstehen, sondern auch beenden will, für den ist das Thema Effizienzgewinn zentral. KI-basierte Lösungen und AI-Technologie können hier maßgebliche Vorteile bringen, auf die kein Unternehmen verzichten sollte. Doch viele Entscheider:innen unterschätzen, wie gut KI heute schon funktioniert – ohne große, eigene IT. Dabei ist KI längst so leicht zugänglich wie ein Stromanschluss.“
SQUT: Dennoch können sich gerade mittelständische Unternehmen in Deutschland nicht so recht mit KI anfreunden …
Rainer Holler: „Ja, das ist leider richtig. Aktuelle Zahlen des Digitalverbands Bitkom zeigen, dass gerade ein Drittel der deutschen Unternehmen KI einsetzt. Demnach gelingt es nach eigener Einschätzung bislang nur 25 Prozent der deutschen Unternehmen, die Potenziale von KI gut zu nutzen. Der Rest lässt die Chancen einfach liegen. Das ist ziemlich dramatisch.“
SQUT: Warum ist Künstliche Intelligenz ein Problem oder wird als Problem empfunden?
Rainer Holler: „Meiner Meinung nach denken viele – zu viele – dass KI ein reines IT-Thema ist oder nur für Großkonzerne geeignet sei. Sie fürchten hohe Kosten, Kontrollverlust und finden KI insgesamt viel zu komplex. Und dann ist da noch der ‚EU AI Act‘, auch das noch … Viele beschäftigen sich also lieber erst gar nicht damit. Infolgedessen fehlt das Know-how, was KI eigentlich macht, warum es funktioniert und was das kostet. Dabei lohnt sich der Einsatz von KI schon für sehr kleine Unternehmen und ist mit Sicherheit keine Raketentechnik, die man als normaler Mensch nicht verstehen kann.“
SQUT: Beim Thema KI spielen Datenschutz und Datensicherheit eine wichtige Rolle. Ist das ein Vorteil für Deutschland?
Rainer Holler: „Absolut! In Zeichen geopolitischer Spannungen wird der Fokus auf deutsche Datenhaltung zum Wettbewerbsvorteil. Die jetzige US-Regierung und ihre Tech-Politik führen dazu, dass europäische Unternehmen verstärkt nach Alternativen zu amerikanischen Cloud-Anbietern suchen. Wir betreiben unsere eigene Cloud-Infrastruktur in deutschen Rechenzentren. Wir erfüllen damit höchste Sicherheitsstandards und das zahlt sich aus. Aber es geht um mehr als das: Aktuell geht es auch um die Zukunft des Innovationsstandorts Deutschland. Ein Blick auf die weltpolitische Lage zeigt, wie megawichtig das ist. Wie entwickelt sich das Verhältnis von USA und Europa? Was geschieht zwischen Russland und China? Krisen und Kriege bestimmen unsere Nachrichten. Ich denke daher, es ist dringend Zeit, dass wir uns auf uns selbst besinnen und unser eigenes Rennen fahren.“
SQUT: Aber man hört doch ständig, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht genug investiert und zurückbleibt …
Rainer Holler: „Das Argument, dass der Staat nicht genug Geld gibt, kenne ich natürlich. Aber: Was ist mit so ‚Nebensächlichkeiten‘ wie Innovationsgeist, Mut, Entschlossenheit, Willenskraft, Ideenreichtum, die man mit allem Geld der Welt nicht kaufen könnte? Soll ich tatsächlich glauben, dass wir all das in Deutschland nicht besitzen? Blödsinn. Also muss das Motto doch lauten: Weniger lamentieren, sondern machen!“
SQUT: Während viele Unternehmen weiter zögern, geht die KI-Entwicklung weiter. Die nächste Stufe heißt Agentic AI. Was unterscheidet solche AI Agents von bisherigen Bots?
Rainer Holler: „Ganz allgemein kann man vielleicht sagen, dass AI Agents autonom arbeiten und eigenständig handeln können. AI Agents treffen ohne menschliche Unterstützung Entscheidungen und erledigen komplexe Aufgaben. Klassische Chatbots basieren vor allem auf definierten Skripten und reagieren nur auf Eingaben. Autonome AI-Systeme können dagegen mit Kunden in Echtzeit kommunizieren, Sprachbarrieren durch Echtzeitübersetzungen überwinden und untereinander Informationen austauschen.“
SQUT: Heißt das, wir brauchen den Menschen gar nicht mehr?
Rainer Holler: „Beim KI-Einsatz geht es nicht um ein ‚Entweder-Oder‘ zwischen Mensch und Maschine. Vielmehr sind Mensch und KI eine symbiotische Einheit. KI kann riesige Datenmengen in Sekundenbruchteilen analysieren und Standardprozesse automatisieren. Der Mensch punktet bei Empathie und Kreativität und ist bezüglich der strategischen Verantwortung und der Entscheidungsfindung unverzichtbar. Es geht um die optimale Arbeitsteilung. Der Mensch erhält quasi Überwachungsfähigkeiten für KI-Anwendungen. Als Supervisor schaut er zum Beispiel in ein Gespräch zwischen Kunde und KI und unterstützt, wenn etwas nicht gut läuft. Wir nennen das ‚Human-in-the-Loop‘. So entsteht echte Teamarbeit zwischen Mensch und KI. In Zukunft wird es deshalb den CAIO geben, den Chief AI Officer, der die KI-Thematik technisch und kulturell denkt.“
SQUT: Welche Möglichkeiten haben vorsichtige Unternehmen, wenn sie mit KI starten wollen?
Rainer Holler: „Mein Tipp: Einfach anfangen! Starten Sie in einem geschützten Raum mit einer ersten Anwendung, dann schauen Sie, wie es läuft. Meistens beginnt man dabei mit Prozessen, die auf menschlicher Sprache beruhen, denn generative KI wie ChatGPT beruht auf gesprochener oder geschriebener Sprache. Diese finden sich im Vertrieb, im Marketing und im Kundendialog. Auch die Softwareentwicklung – Stichwort Maschinensprache – ist geeignet. Holen Sie sich Unterstützung oder Begleitung von KI-Experten und Partnern, analysieren Sie die bisherigen Prozesse und definieren Sie, was mit KI optimiert werden kann und welche Lösung dazu passt. KI ist nicht so komplex, wie man anfänglich denkt, versprochen!“
Über VIER
Das Technologieunternehmen VIER denkt Kundendialog und Kommunikation neu. Die KI-basierten Lösungen und Produkte von VIER machen kontaktbasierte Geschäftsvorgänge effizienter und verbessern Customer Experience und User Experience spür- und messbar. VIER kombiniert künstliche mit menschlicher Intelligenz, Expertise mit Intuition, jahrelange Erfahrung mit Innovation und Forschung – sichere Daten, deutsche Cloud und lokaler Service inklusive. Ende Juni hat VIER die authensis AG übernommen und erweitert damit sein eigenes cloudbasiertes Portfolio um attraktive On-Premise-Lösungen. Das Unternehmen kann damit nun auch hybride Lösungen anbieten.
Rainer Holler ist CEO der VIER GmbH. Der Diplom-Kaufmann und EMBA will mit VIER den neuen europäischen Standard für Kundeninteraktion setzen. Um das zu erreichen, legt Rainer Holler großen Wert auf gegenseitiges Vertrauen, Mitwirkung und Transparenz – in Bezug auf Mitarbeiter:innen, Kunden und Partner. Er fördert eine Unternehmenskultur, die Freiräume lässt und Fehler verzeiht. Rainer Holler denkt Kundendialog und Kommunikation neu.